• Teil des PhD-Workshops «Imagination as a Site of Struggle»
Seit den ersten Tagen von Pindoramas Invasion bevölkern Beschreibungen von unsichtbaren Wesenheiten, Phantomen, Teufeln und Göttern die Schriften, die versuchen, die Realitäten dieser Welt in die europäische Vorstellungswelt zu übertragen. Diese Schriften machen nicht nur den Unterschied zwischen indigenen Kosmologien und kolonialen Erzählungen sichtbar, sondern sie markieren auch den Übergang zwischen der Zeit des Mysteriums, in der so genannte „Phantasien“ die eigentliche Operation zur Beschreibung der Welt darstellten, und der Zeit der Manipulation, in der Erzählungen bewusst konstruiert wurden, um politische Regime zu stützen. Aber wenn Fabulationen einst in der Lage waren, den Wald in eine Sammlung harter Wahrheiten und konkreter Formen zu verwandeln, können sie dann auch Werkzeuge sein, um andere Erzählungen von der Wirklichkeit zu produzieren und rückwirkende Zauber zu wirken?
Ausgehend von der Wechselbeziehung zwischen den Schriften des Missionars José de Anchieta und dem Libretto von Il Guarany, einer einflussreichen brasilianischen Oper aus dem 19. Jahrhundert, untersucht der Vortrag die kritischen und ästhetischen Möglichkeiten der unsichtbaren Wesenheiten des kolonialen und postkolonialen Brasiliens, indem er fiktionales Schreiben und in der Populärkultur eingebettete Formen der Verzauberung als potenzielle gegenkoloniale Strategien nutzt, die in der Geschichte der darstellenden Künste wurzeln.
Moderation: Helen V. Pritchard, Shaka McGlotten, Ines Kleesattel, und Lucie Kolb.
Biografie
Túlio Rosa (Sombrio, Brasilien, 1989) ist Performer, Choreograf und Forscher und lebt derzeit in Brüssel. In den letzten Jahren hat er in Zusammenarbeit mit Beatriz Cantinho das Projekt Arquivo Atlântico entwickelt, das einen kritischen und sensiblen Ansatz für die Erinnerung an den Kolonialismus in verschiedenen Gebieten des Südatlantiks bietet. Durch die Kombination von schriftstellerischen, visuellen und performativen Praktiken schlägt er vor, den Körper in Beziehung zu Zeit und Geschichte zu setzen, und erforscht, wie die Gegenüberstellung und Konfrontation von Archivmaterial neue Beziehungsgeflechte fördern und Narrative und Visualitäten in Frage stellen kann, die ein Imaginäres der kolonialen Matrix prägen. Er beschäftigt sich mit antikolonialen Praktiken, der Politik der Erinnerung und der Möglichkeit, persönliche und kollektive Geschichten als Geste der Wiedergutmachung neu zu schreiben.